Auf einer ver.di-Veranstaltung in der Kölner Alten Feuerwache hat der Kameramann Stefan Nowak am 14. November 2009 eine vielbeachtete Rede gehalten, in der er die Arbeitsbedingungen in der Film-und Fernsehbranche anschaulich und treffend auf's Korn nimm: Die Auftraggeber mühen sich redlich und erfolgreich, alle Risiken und Kosten bei minimaler Bezahlung auf die zuliefernden selbstständigen MitarbeiterInnen und kleinen Produktionsunternehmen abzuwälzen. Bei connexx-av sind alle Beiträge der Veranstaltung als Videos abrufbar . Wir dokumentieren hier Stefans Beitrag als Text:
VORSPIEL:
Guten Morgen in der Alten Feuerwache!
Der Wirtschaft geht’s schlecht, viele von uns merken das an der Auftragslage. Die Honorare sind seit zwanzig Jahren nicht gestiegen; einige von uns haben ihre Honorarforderungen deshalb schon gesenkt, und in Anbetracht der gegenwärtigen Produktionskrise können wir darauf warten, dass man versuchen wird, unsere Honorare noch weiter zu drücken.
Ich freue mich sehr, dass so viele von Euch gekommen sind, um heute über unsere berufliche Situation, unsere Zukunftsaussichten und das, was unbedingt geändert werden muss zu diskutieren.
Klingeling...............
Ähm...´tschuldigung....ich muss mal ganz schnell....
Nowak, hallo............
Ja das ist ja schön......wer hat mich denn empfohlen.........ach, der. Nett von ihm.
Ja, am Sonntag kann ich drehen.....ach Du kommst aus München...
Ah, Feuerwehrleute, die das Abseilen von einem Kran üben.....schöne Geschichte.....ja, sowas mach ich sehr gern.......
Ja, ich kann mich mit abseilen.....ich muss dann ein Paralellseil legen, um mich nicht zu drehen.........
Jo.
Auf was für einem Format drehen wir denn?
Achso. In welcher Auflösung? Das bedeutet in HD, SD oder.....Ja, wenn Du mal den Cutter fragst..... Interlaced oder progressiv?............ Ja, ich müßte wissen, ob Du Einzelbilder oder Halbbilder.....ja, das weiß auch der Cutter.....
Welche Framerate?...............ja, das kannst Du auch den Cutter fragen.................
Teampreis.......................?
Moment bitte............XDCAM, Weitwinkel, zwei Funkstrecken, Kletterausrüstung, Honorar kletterfester Assi-da werden wir so um die 850 bis 900 Euro für zehn Stunden liegen.
Nö, das ist nicht teuer. 330 für mich, 220 für den Assi, da bleiben 350 für die Ausrüstung. Das ist nicht viel........noch nicht mal Sonntagszuschlag.....
Ja,... wenn Du ein Team für 600 bekommst.... dann dreh doch mit denen......
Aber wenn Du mit mir drehen willst..............ich kann's nicht billiger machen; ich hab's Dir doch vorgerechnet.......
Nein, 750 geht leider auch nicht................
Wenn Du einen Assi für 130 bekommst, klettert der dann auch sicher und kann in 60 Metern Höhe noch arbeiten? Ich mach sowas nur mit meinem Assi.
Ausrüstung geht nicht billiger................
Ja dann bring die doch aus München mit, wenn Du sie da billiger bekommst.
Entschuldige bitte, aber wir reden hier nicht über einen Kindergeburtstag im Streichelzoo............
Ja, du kannst da gerne mal nachdenken und mich nochmal anrufen........ Nein nein,..ich brauch nicht über den Preis nachzudenken...... wenn dir das zu teuer ist, dann musst du mit deinen Müchnern............
Okay.....Danke, ..........schönen Tag..tschö........
Entschuldigung. Ihr kennt das ja. Wenn das Handy klingelt, muss man.....................
Traumjob Fernsehen
Also ihr habt's ja mitbekommen-ich arbeite als freiberuflicher Kameramann seit mittlerweile 14 Jahren fürs Fernsehen und ich liebe meine Arbeit sehr. Leider bin ich aber in einem Beruf tätig, in dem - wenn denn überhaupt und auch manchmal mit vierteljährlicher Verspätung - seit zwanzig Jahren dieselben Honorare gezahlt werden.
Dafür werden dann Überstunden auch nicht honoriert, von Feiertags-, Wochenend- oder Risiko-Zuschlägen wenn man in Krisengebieten unterwegs ist, auf Hochspannungsmasten dreht oder bei 200 Sachen über der Rennstrecke aus dem Heli hängt, wollen wir mal gar nicht erst träumen.
Die öffentlich- rechtlichen Sender bedienen sich unser gerne und regelmäßig indirekt durch Produktionsfirmen, damit die Sender-Hierarchen behaupten können, ihre Mitarbeiter haben geregelte Arbeitszeiten, werden nach Tarif und anständig bezahlt. Für die Festangestellten in den Sendern mag das zutreffen.
16- bis 18-Stunden-Tage sind bei uns „Freien“ natürlich auch bei Drehs für die „Öffentlich-rechtlichen“ nicht selten, 12 bis 14 Stunden eher die Norm.
Und wenn wir dann mal wieder 28 Stunden mit der billigsten Airline und mit dreimal Umsteigen z. B. nach Thailand fliegen, 300 Kilo Ausrüstung mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl durch den Zoll bringen, für die Produktionsfirma die Übergepäckkosten herunterhandeln, einchecken, im Wachkoma in der Holzklasse eingeklemmt dahinvegetieren und nach Ankunft statt zum Chiropraktiker zu gehen das Equipment auf thailändische Autodächer verladen, haben wir ja nix gedreht. Oder wir fahren nach dem Flug nach New York noch eben 5 Stunden Auto und machen noch schnell eine Motivbesichtigung, schlingen ein überteuertes Abendessen in einer Fastfood-Bude herunter, räumen das Auto aus, begeben uns in ein billiges Hotel 30 Meter neben dem Highway und versuchen, noch 5 Stunden zu schlafen und - wieder haben wir nix gedreht. Für diese "Reisetage" steht uns dann auch nur das halbe Honorar zu, weil, wir sehen ja die Welt und lernen auch noch was dazu.
Und wir haben ja schließlich nix gedreht.
Aber manchmal, noch im Jet-Lag, dürfen wir nach der Ankunft auch „eben mal was drehen“. Das Frühstück wird pauschal von den Spesen abgezogen, und die Gelegenheiten, wo es beim Dreh Catering wie beim Film gab, kann ich an den Hörnern einer Kuh abzählen. Wenn dann - nach Drehende beim Heimflug aus der entfernten Hochgebirgsregion eines asiatischen Landes - der Hubschrauber abstürzt und die zwanzig Kasetten gedrehtes Material samt Expeditionsausrüstung verbrannt sind, kommt dann mal im Nebensatz 'raus, dass die Produktion aus Kostengründen nicht versichert war - die Produktionsfirma macht nämlich sonst schöngeistige Kulturfilmchen für ARTE, und da stürzen keine Expeditionshubschrauber ab. Da der Kameramann vertrauensselig (das ist ein altmodisches Wort für doof) genug war, sich auf eine Rückstellung einzulassen, kriegt er jetzt keinen Cent für seine Arbeit - weil ja auch kein Material da ist. Die Produktionsfirma hat allerdings das vom Kameramann geistesgegen-wärtig vom Absturz gedrehte und am Geheimdienst vorbei außer Landes geschmuggelte Material für einen fünfstelligen Betrag verkauft - man hatte ja Kosten.....und ich ein tolles Erlebnis...
Trotzdem geben wir alle auch gerne einen mehr oder weniger großen Teil unserer lächerlichen Honorare für Zusatzequipment aus, das die Arbeit erleichtert, die Filme schöner macht - aber nicht abzurechnen ist. Übrigens genau wie die Kosten für die Klamotten für alle Klimazonen dieser Erde. Klaaaar verschulden wir uns auch gerne für schöne schnelle und bequeme Autos mit Klimaanlage und Navis, um mit den Autoren standesgemäß zum Dreh zu fahren. Die ersten 100 Kilometer sind bei den Privatsendern übrigens selbstverständlich schon im knappen Teampreis enthalten.
Wie glauben Sender mit uns umgehen zu können, die sich über uns von ihren Produktionsfirmen vorgelegte Knebelverträge, von allen etwaigen Ansprüchen freistellen, sich selber für alle Zeiten und Universen alle denkbaren und undenkbaren Rechte bis hin zur Klingeltonverwertung einräumen lassen, die juristische und finanzielle Verantwortung aber soweit wie möglich vertraglich auf die freien Kameraleute abwälzen lassen - zu Honoraren, die auf die Stunde umgerechnet knapp an den Stundenlohn eines Fleurop-Verkäufers heranreichen. Damit sind Sender und Produktionsfirma nämlich aus dem Schneider, wenn ein freier Mitarbeiter (und damit selbständiger Subunternehmer) nach 17 Stunden (an einem selbstverständlich so disponierten) Drehtag auf der Heimfahrt oder der Fahrt zum Billighotel den Leihwagen der Produktionsfirma gegen einen Baum setzt. Wenn ich mich in so einem Vertrag verpflichte, alle Gesetze zu achten, verstoße ich schon am ersten, auf sechzehn Stunden disponierten Drehtag gegen den Vertrag und geltendes Recht.
Vielleicht sollte ich auch noch schnell französisches Recht studieren, um mich zu verpflichten, auf die Einhaltung französischer Gesetze durch mir unterstellte französische Beleuchter und Gripper zu achten?
220-330 Euro Tagessatz gibt’s für den Kameramann, 120 bis 205 €uro für die Kamera-Assistenz; an Reisetagen die Hälfte, an freien Tagen in der sibirischen Tundra wegen des hohen Freizeitwertes gar nix; das wird von den Sendern den freien Produzenten so in die Budgets hereinkalkuliert.
Stärker marktwirtschaftlich orientierte Produzenten versuchen, selbst diese Sätze noch zu einem für sie profitableren Pauschalpreis runterzuhandeln; denn, Dokumentarfilm wird ja mit dem Herzen, und nicht für Geld gemacht, und mit Leuten, die wie wir Kameraleute nur ans Geld denken, wollen und können sie keine engagierten Filme machen.
Auch den vielen anständigen und engagierten Produzenten werden von allen Sendern dauernd die Budgets und Tagessätze gekürzt und so können sie uns nicht besser bezahlen, obwohl viele von ihnen das gerne möchten.
Beim klassischen Fernseh-Zweierteam ist der Kameramann auch Fahrer, Gepäckträger, Möbelpacker, Oberbeleuchter, Gripper, Elektriker, in Afrika gelegentlich Kraftfahrzeugmechaniker; wenn nötig noch Regisseur und Dolmetscher und darf gelegentlich als Teampsychologe akute Krisenintervention betreiben. Der Kamerassistent oder die Kameraassistentin darf das gleiche Tätigkeitsspektrum beackern, soll aber auch als Lichtdouble zum Einleuchten stillsitzen und noch einen sauberen Ton abliefern, während sie oder er die Tonangel und vielleicht auch noch den Reflektor zum Aufhellen hält. Beim Spielfilm oder szenischen Produktionen machen das viele verschiedene spezialisierte Menschen, von denen jeder einzelne in der Regel besser bezahlt wird. Also machen nicht nur Kameraleute, sondern auch die Kameraasisstenten und -Assistentinnen einen sehr kreativen, verantwortungsvollen, und weitgehend selbstbestimmten Job. Aber Assistenten dürfen keine Rechnungen schreiben, weil irgendwer entschieden hat, dass sie nicht selbständig, sondern nur weisungsgebunden arbeiten können. Deshalb bucht der schlaue Sender oder Produzent beim Kameramann ein Team mit Equipment und will dafür natürlich dann einen Teampreis -inklusive Ausrüstung und Assi. Weil, der Sender oder Produzent arbeitet ja nur legal, und da soll der Kameramann mal schön selber sehen, wie er den Assi denn abrechnet und bezahlt. Und wenn die Equipmentrechnung dann nach sechs Wochen immer noch nicht bezahlt ist, ruft der Verleiher dann auch nicht beim Sender, sondern beim Kameramann an.
Die Zeiten, in denen sich ein Kameramann die komplette eigene Ausrüstung finanzieren lassen und damit Geld verdienen konnte, wenn sie abgeschrieben war, sind lange vorbei. Also muss er noch die Ausrüstung anmieten und bezahlen; bei Teampreisen von 750 € (das gilt bei den Privaten und Öffentlich-rechtlichen als Standard-Teampreis) bleibt nichts übrig ausser dem eigenen knappen Tagessatz, wenn man 300 für die Kamera, 200 für den Ton und 250 für die Ausrüstungsmiete rechnet. Da braucht's schon verdammt gute Kontakte zu verständnisvollen Equipmentverleihern, denn sparen läßt sich da nur noch am Honorar als einzelner Kameramann kann ich nicht auf dieselben Verleiher-Rabatte hoffen, wie sie den großen Produktionsfirmen vor Ort eingeräumt werden. Und, bei den Preisen muss ich dann schon eigenes Licht und eigene Tonausrüstung mitnehmen-bei dem Teampreis ist das nicht auch noch zu mieten. Also lüge ich mir noch einen in die Tasche, wenn ich selbst finanziertes Equipment einsetze, ohne es berechnen zu können. Das eigene Honorar sinkt also weiter.
Wenn dann irgendwann mal das Honorar eingeht, hat der Sender durchs Herauszögern der Überweisung (jaaaa, das machen auch die Öffentlich-rechtlichen so) einen netten Zinsgewinn eingefahren (bei ein paar tausend Freien läppert sich das), der Kameramann hat ein schlechtes Gewissen gegenüber Assi und Verleiher, und die Bank freut sich über die mal wieder fälligen Überziehungszinsen für das Konto des Kameramannes. De r hat somit einem anderen Menschen Arbeit besorgt, reicht, wenn er fair ist, das Assihonorar voll durch und kriegt fürs ganze Theater - dazu gehört auch, beim Verleiher Angebote für die Ausrüstung einzuholen, die Ausrüstung zu checken, abzuholen und wieder zurückzubringen selber nur einen mickrigen Tagessatz. Da muss jede(r) selbst entscheiden, wie lange und zu welchen Konditionen sich solche Knochenarbeit lohnt. Fernsehen soll teuer aussehen, darf aber nichts kosten. Angeblich ist ja kein Geld da, man muss sparen.
Sollte etwa etwas an der im Zusammenhang mit der Typhoon-Pleite geäußerten Ansicht dran sein, dass man in Deutschland unter Einhaltung der Gesetze und Vorschriften nicht wirtschaftlich Filme produzieren kann?
Hallo? Shareholder Value bei den Privaten, unglaubliche Verschwendung, Wetten dass!, Musikantenstadl und feudale Internetauftritte bei den Öffentlich-rechtlichen da geht die Kohle hin!
Ich selber arbeite mit Firmen, über die ich den Assi selber abrechnen lassen kann, oder mit Menschen, die eine BFA-Befreiung haben und somit Rechnungen schreiben dürfen. Damit entgeht mir leider die Zusammenarbeit mit exzellenten Kolleginnen und Kollegen. Und das in unserem Beruf klassische „Training on the Job“ mit Newcomern ist so schon gar nicht mehr möglich. Die dürfen ja keine Rechnungen schreiben, und ich kann Niemanden anstellen....
„Meine“ Gewerkschaft hat lange verschlafen, dass sich die Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse in unserer Gesellschaft grundlegend verändern; dass viele, wie auch ich, in eine Unternehmerrolle gezwungen worden sind, um ihren Beruf ausüben zu können ob wir das wollen oder nicht. Ein gebetsmühlenhaftes Bestehen auf Festanstellung ist da keine Lösung; viele von uns wollen auch gar nicht festangestellt werden. In Holland hat sich schon eine unabhängige Selbständigengewerkschaft gegründet. Wir müssen uns sehr beeilen, den neuen „Zwangsselbständigen“ eine Heimat und die dringend erforderliche Unterstützung zu bieten, bevor mit einer unabhängigen Gewerkschaft uns Alle schwächende Fakten geschaffen werden.
90 Prozent der Fernsehteams, die Politiker und eben auch Gewerkschafts-funktionäre interviewen, bestehen aus schlecht bezahlten Freiberuflern, die ohnehin nicht festangestellt würden. Die Mini-Firma, für die sie arbeiten, und die für mehrere Leute Arbeit und Honorare akquiriert, würde nämlich ganz einfach dicht gemacht wenn Gesetze entsprechend geändert oder durchge-setzt würden. Kaum ein freier Kameramann kann es sich leisten, Assistenten fest anzu-stellen; genausowenig, wie sich Assistenten nur an einen Kameramann oder eine Produktionfirma binden könnten - so regelmäßig kommen die Aufträge nicht, und die Honorare sind lächerlich. Bei den wenigen festangestellten Assistenten und Kameraleuten in Produktionsfirmen siehts meistens nicht besser aus. Reisetage werden nur halb als Arbeitszeit gerechnet und wie Überstunden auf obskuren selbstge-bastelten Arbeitszeitkonten nach Gutsherrenart mit Tagen, an denen weniger zu tun ist verrechnet - wozu läßt man sich dann festanstellen? Über einen Tarifvertrag wie den für die auf Produktionsdauer beschäftigten Filmkolleginnen und -kollegen wird in unserer Branche nur gelacht - durch-setzbar wäre der sowieso nicht.
"Freie" Beschäftigungsverhältnisse sind kein Trend mehr, sondern in weiten Teilen unserer Wirtschaft schon lange Realität und Funktionsprinzip.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn wir fair und angemessen bezahlt würden und uns damit auch eine angemessene Alterabsicherung erarbeiten könnten.
Da wir aber seit zwanzig Jahren fürs gleiche Geld (manche von uns für weniger) arbeiten, und die Arbeitstage immer länger werden, verdienen wir faktisch viel weniger - inflationsbedingt und durch die Euro-Einführung haben wir gewaltig an Kaufkraft verloren.
Ein Silberstreif ist am Horizont erschienen. Kolleginnen und Kollegen bei connexx.av und bei Ver.di bemühen sich redlich und kompetent, die Umstände unserer Arbeitsbedingungen kennenzulernen und uns sehr pragmatisch und solidarisch, z.B. bei der Vernetzung, zu unterstützen. Filmfon, Mediafon und auch unser regelmäßig gut besuchter Stammtisch des Filmverbandes West zeigen, dass sich etwas tut.
Deshalb bin ich noch Gewerkschaftsmitglied und arbeite im Filmverband mit.
Aber wie soll das alles weitergehen?
Ich fahre nächste Woche mit meinem Autor, aber ohne Assi auf einen Doku-dreh nach Afrika, weil das vom Sender zur Verfügung gestellte Budget dafür nicht ausreicht. Wir wissen jetzt schon, - dass wir auf viele Situationen nicht schnell genug werden reagieren können und wichtige Bilder verpassen werden, weil die Assistentin fehlt. Aber wir wollen trotzdem einen guten Film machen. Das erwartet auch der Sender so. Auch ohne Assi. In einer Branche, deren Ausbildung nie schulisch, sondern über ein „Training on the job“ Prinzip geregelt war, ist das fatal. Hier kann wieder ein Assi nicht lernen. Kameraassistenten erlernten ihren Beruf auf dem Dreh, sammelten die so wichtige Arbeitserfahrung, die Wissen und Sicherheit im Umgang mit Aufnahmesituationen vermittelt. Irgendwann wurden sie dann Tontechnikerin, Kameramann oder, weil sie das wollten, geachtete und gefragte Kamera-assistenten. Das ist jetzt nur noch halblegal möglich.
Seit der von der der Schröder-Regierung initiierten „Scheinselbstständigkeitsdebatte“ ist unsere halbe Branche illegal tätig und es herrscht eine kolossale Verunsicherung über den Umgang mit und die Abrechnung von Kameraassistenten. „Kameraassistent“ ist seitdem eine Durchgangsstufe in der Ausbildung, dem beruflichen Werdegang; niemand will Assi sein, schlecht bezahlt und ungeachtet. Und plötzlich gab es den Ausbildungsberuf „Mediengestalter“. Und das war gut gedacht, aber schlecht gemacht. Diese jungen Menschen werden in dem Irrglauben ausgebildet, nach Abschluß ihrer Ausbildung vom Markt mit offenen Armen erwartet zu werden und sich die Jobs als Kamerafrau oder Kameramann aussuchen zu können. Tatsächlich arbeiten die meisten Kameraleute und Produktionsfirmen lieber mit Kameraassistenten, die ihren Beruf auf die althergebrachte Weise „on the Job“ gelernt, und so auch die entsprechende Praxiserfahrung gesammelt haben. Da den frisch ausgebildeten Mediengestaltern diese Praxiserfahrung in den meisten Fällen fehlt, bleibt ihnen als einziger Ausweg, durch nach unten orientierte Honorarforderung in den Markt zu drängen.
Auf diese Weise legen sie sich erstens selber über den Preis auf bestimmte Formate und Genres fest, und zweitens brandmarken sie damit zusätzlich noch ihren Ausbildungsweg und verleihen ganzen Tätigkeitsbereichen in unserer Branche ein neues Preisetikett. Das Ausbildungskonzept „Mediengestalter“ hat sich, an der Realität unserer Branche gemessen, als ungeeignet herausgestellt und dient jetzt leider immer öfter als Honorardumping-Instrument gegenüber den Filmschaffenden der „Alten Schule“.
Wir brauchen dringend ein gutes Konzept, um diese Berufseinsteiger in die Branche einzubinden. Es muss damit beginnen, schon während ihrer Ausbildung den Kontakt zu Mediengestaltern zu suchen, als Praktiker im Job in die Ausbildungsanstalten gehen und unsere Praxiserfahrung und Mithilfe anzubieten, um ein realistisches Berufsbild zu vermitteln, aufzuklären. Wir müssen versuchen, in den Ausbildungskonferenzen realitätsvermittelnd aufzutreten, um zu erreichen, dass die Ausbildung praxisbezogen wird und Praxiserfahrung vermittelt.
Und wir müssen verhindern, dass sich ein jetzt schon vorhandenes und wachsendes Medienprekariat mit dem Umstand abfindet, dass man eben schlecht bezahlt wird und sich da auch nie was dran ändern läßt.
Wir müssen diesen jungen Kolleginnen und Kollegen eine Heimat bieten und ihnen helfen, ein gesundes Selbstbewußtsein zu entwickeln, damit sie eine praxisnahe Ausbildung einfordern und nicht mehr glauben, sich mit vorsintflutlichen Produktionsbedingungen abfinden und mit Taschengeldern abspeisen lassen zu müssen.
Als Gewerkschafter müssen wir selber aktiv werden; wir müssen unseren Funktionären berichten, wie es am Set, im Schneideraum oder in der Berufsschule aussieht, unter welchen Bedingungen wir zu welchen Honoraren arbeiten; wir müssen den Gewerkschaftsapparat nutzen: seine Rechtsberater und Fachleute; seine Kommunikationsinfrastruktur, um uns auch bundesweit in der Gewerkschaft zu vernetzen.
Und wir sollten seine politischen Funktionäre nutzen, um unsere Forderungen öffentlich zu machen, der Politik vorzutragen, und auf gesetzliche Regelungen zu drängen.
Wir müssen den Mund aufmachen; bei der Gewerkschaft genauso wie bei Honorarverhandlungen mit dem Produzenten.
Produzenten sind Filmschaffende - auch wenn es für sie, wie viele Andere in unserer Branche, noch nicht einmal einen Oscar gibt. Anständige Produzenten leiden unter der gegenwärtigen Situation genau wie wir. Sie wollen gute Filme produzieren, anständige Honorare für gute Arbeit zahlen und uns gute Arbeitsbedingungen ermöglichen, weil sie wissen, dass man so bessere Filme macht.
Uns sollte klar sein, dass wir alle in einem Boot sitzen.
Wir müssen uns zusammensetzen; verbinden, Vertrauen vermitteln, um unsere Produzenten dabei zu unterstützen, konsequent gegenüber den budgetierenden Sendern aufzutreten und faire Budgets auszuhandeln. Qualifizierte Leistung gibt es nicht für Trinkgelder.
Oder wollen wir, dass die qualifizierten und erfahrenen Kollegen aus wirtschaftlichen Gründen aus der Branche abwandern? Viele Kolleginnen und Kollegen spielen nämlich schon mit genau diesem Gedanken.
Und wir müssen auch unsere festangestellten Kolleginnen und Kollegen informieren, wie es bei uns wirklich aussieht, dass wir unsere Tagessätze eben nicht an 30 Tagen im Monat einfahren. Wir müssen ihnen klarmachen, dass wir kein Geld bekommen, wenn wir krank sind, kein Urlaubsgeld überwiesen kriegen, und dass viele von uns es sich bei diesen Honoraren einfach nicht leisten können, sich fürs Alter abzusichern.
Was ist eigentlich in dieser Branche los? Warum werden wir so schlecht bezahlt?
Mehr und mehr Geschäftemacher, die keinerlei Ahnung von und noch weniger Interesse an Filmproduktion haben, drängen ins Geschäft. Oft leiten diese Firmen nur Geld weiter, allerdings nicht, ohne sich einen netten Teil davon für Phantasieleistungen, die nur auf dem Papier erbracht werden, abzugreifen. Oder sie tun nichts anderes, als Leute billig anzustellen und gewinn-bringendst weiterzuvermieten. Möglich wurde das durch die gesetzlichen Weichenstellungen der rot-grünen Schröder-Regierung in Hinblick auf Arbeitnehmerüberlassung.
Andere Firmen sitzen in München, hängen einen Briefkasten in Köln auf und kassieren so bei Produktionen in NRW Förderungsmittel.
Das Equipment kommt dann mit dem LKW aus Bayern; manchmal auch das Personal. Kölner Firmen müssen dann Mitarbeiter entlassen....
Es gibt Festangestellte, Überlassene, Freie, Selbständige, bei den AÜGs Freie Vermittelte, Auf Produktionsdauer Beschäftigte, Atypische Selbständige.............
Ist unsere Branche ein gesellschaftliches Experimentierfeld für Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor geworden?
Jetzt bin ich mal auf die Diskussion gespannt!
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