Nach dem Norddeutschen Rundfunk hat nun auch das Deutschlandradio begonnen, langjährige freie MitarbeiterInnen zu kündigen, bevor ihre Tätigkeit tariflich stärker geschützt ist, sprich, sie nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden können. Und ausgerechnet die Rundfunkfreiheit wird als Begründung dafür herbeizitiert, dass Langjährige nun gehen sollen. Über die Ergebnisse von mehreren Info-Veranstaltungen mit ver.di, DJV und dem DLR-Programmdirektor Müchler berichtet Klaus-Michael Klingsporn in der Mailingliste "dradiofreie":
Ihr Lieben,
in Berlin und Köln hat es Informationsveranstaltungen von Dr. Müchler zum Thema gegeben, in Köln vor kurzem eine von verdi, in Berlin gestern eine von DJV und Verdi mit mit dem Juristen Michael Hirschler von DJV. Auf der Liste wurde der Wunsch geäußert von diesen Veranstaltungen informiert zu werden, was im Detail, glaube ich, keinen Sinn macht; ich will statt dessen hier eine Zusammenfassung versuchen.
1. Die Rechtslageergibt sich aus dem TV für Arbeitnehmerähnliche des DLF von von 1978, der lt. HarmonisierungsTV von 1995 für alle Freien von dradio gilt (TV zum Nachlesen unter: www.rundfunkfreiheit.de).
In §5 legt dieser TV für den Fall, dass DLF/dradio "die Beendigung oder eine wesentliche Einschränkung der Tätigkeit" eines arbeitnehmerähnlichen Freien Mitarbeiters beabsichtigt, die Pflicht zur schriftl. Mitteilung dieser Absicht durch die Holi fest. Dabei wird unter "wesentlicher Einschränkung" eine Jahresvergütungsminderung um mehr als 25%, bei Mitarbeiter, die mehr als die Hälfte ihres Einkommens von DLF/dradio beziehen, von mehr 10% verstanden. Vor einer Beendigungsankündigung muss eine Anhörung des Betroffenen durch den zuständigen Direktor erfolgen, in der auch ein Grund für die Beendigung der Beschäftigung genannt werden, und die Möglichkeit einer anderen Beschäftigung des Freien Mitarbeiter geprüft werden muss.
Die Frist für eine solche Minderungs-/Beendigungsankündigung beträgt zunächst für Mitarbeiter, die im laufenden oder vergangenen Jahr gegenüber DLF/dradio Urlaubsanspruch berechtigt geltend gemacht haben, einen Monat, erhöht sich jedoch im Laufe der Jahre, in denen der Freie ohne Unterbrechung Urlaubsanspruch gegenüber DLF/dradio berechtigt geltend macht, bis sie nach 10 Jahre schließlich 1 Jahr beträgt. (Aus diesen Fristen ergibt sich im übrigen auch die Grundlage für die sog. Ausgleichszahlungen bei Beschäftigungsminderung ohne Ankündigung.)
Hat der Freie 15 Jahre ohne Unterbrechung Urlaubsanspruch berechtigt geltend gemacht, oder ist mind. 50 Jahre und hat 10 Jahre Urlaubsanspruch berechtigt geltend gemacht, kann seine Tätigkeit nur noch "aus wichtigem Grund" beendet werden, was z.B. der Fall sein dürfte, wenn er das Pult im Sendestudio klaut, die Highländer-Speicher löscht o.ä.
Auch diese gemeinhin als "unkündbar" bezeichneten Freien können im Umfang ihrer Tätigkeit, wie sich in den letzten Jahren mehrfach gezeigt hat, allmählich (um jährlich 10%) herunterfahren werden, müssen aber zumindest soviel beschäftigt bzw. ausgleichsbezahlt werden, dass sie arbeitnehmerähnlich bleiben, was Gerichte bislang zumeist pragmatisch als 2 x 42 = 84 Arbeitstage pro Jahr definiert haben. Auch haben sie keinen Anspruch auf dieselbe, aber auf eine "zeitlich und fachlich zumutbare Tätigkeit".
2. Deutschlandradio sprengt seine vermeintlichen KettenEine solche Regelung, die Freien Mitarbeitern mit den Jahren ihrer Mitarbeit wachsende Beschäftigungsgarantien und damit eine gewisse Sicherheit gibt - und dem Sender im Gegenzug sicherlich die eine oder andere Festanstellungsklage erspart (hat) -, will heutzutage natürlich nicht so recht ins neoliberale Weltbild passen.
Dr. Müchler meinte in der Berliner Informationsveranstaltung hier sogar eine Beschränkung der Rundfunkfreiheit auszumachen. Jedenfalls könne die Geschäftsleitung es nicht zulassen, durch eine zunehmend wachsende Zahl praktisch unkündbarer freier Mitarbeiter in der Programmgestaltung eingeschränkt zu werden. Die ursprünglich sicherlich einmal gut gemeinte tarifvertragliche Regelung gehöre seiner Meinung nach gestrichen, da sie sich nun gegen die Freien wende. Der Sender habe sich durch diese Regelung gezwungen gesehen, sich von einigen Mitarbeitern, die man eigentlich gerne weiter beschäftigt hätte und über deren Qualitäten es keinen Zweifel gäbe, zu trennen, da sie ansonsten in den Status der Unkündbarkeit kämen, der Sender sie also bei Bedarf nicht mehr los werde.
Anderes als bei anderen Sendern mit ähnlichen Regelungen wolle man beim dradio aber nicht grundsätzlich nach 14 Jahren die Guillotine fallen lassen, sondern weiterhin im Einzelfall entscheiden. Allerdings sei die Entscheidung von den Redaktionen, die sich ohnehin immer für eine Weiterbeschäftigung der Freien aussprächen, schließlich hätten sie sie ja nicht umsonst bereits 14 Jahre beschäftigt, auf die Ebene der Hauptabteilungsleiter verschoben worden. Und die wären dieses Jahr eben zu dem Schluss gekommen von ca. zwei Dutzend Freien ("Bitte legen Sie mich auf die genaue Zahl nicht fest"), die in den kommenden 1,5 Jahren die 15 bzw 10 Jahre erreichen, ca. 6 zu kündigen, über deren fachlichen Qualitäten es keinen Zweifel gäbe, die aber ... s.o.
Die Frage, ob die gekündigten Freien nach einer Pause wieder beschäftigt werden könnten, beurteilte Dr. Müchler aus arbeitsrechtlichen Gründen eher skeptisch. Auf die Frage, ob man der Gefahr einer evtl. Kündigung im Vorfeld durch gelegentlichen Verzicht auf einen Urlaubsantrag aus dem Wege gehen könnte, wie wohl von einigen Abteilungsleitern empfohlen, antwortete er sehr sybillinisch, dass er dies keinem empfehlen könne, da dies als Nötigung verstanden werden könne, dass er sich aber vorstellen könne, dass dies u.U. ein "gangbarer Weg" sei.
Ansonsten gab's noch zahlreiche Ratschläge, dass man als Freier frei sei, dass man sich rechtzeitig "breit aufstellen" müsse und nicht von einem Sender abhängig machen dürfe, dass man doch lieber mal einen Termin in dradio ablehnen solle, wenn man die Möglichkeit habe, woanders ... usw. usw.
3. Fakten, Gerüchte und Einschätzung Nach unseren Recherchen sind die Zahlen, die Müchler genannt hat, im wesentlichen richtig: In den nächsten 1-2 Jahren werden eher mehr als 2 Dutzend Freie in den Genuss der 15- bzw 10-Jahresregelung kommen; bislang sind 5 Freie formvollendet gekündigt worden, bei mind. einem weiteren ist eine Kündigungsankündigung erfolgt, steht das Direktorengespräch aber noch aus. Dass die Betroffenen, soweit sie bei der einen oder anderen Gewerkschaft Mitglied sind, Rechtsschutz erhalten, ist klar; ob das hilft, wird sich zeigen.
Für die Auswahl der Opfer scheint es keine sichtbaren Kriterien zu geben, es scheint im Vorfeld bei vielen Akteuren im Haus erhebliche Unklarheiten gegeben zu haben, wann eine Kündigung erfolgen kann. So stand wohl zeitweilig auch ein Freier auf der Kündigungsliste, der mit 23 Beschäftigungs- und Urlaubsjahren nun doch jenseits von Gut und Böse sein sollte, bei anderen scheinen sie die letzte Möglichkeit zur Kündigung knapp verpasst zu haben.
Einige Kandidaten scheinen von der Liste wieder gestrichen worden zu sein, weil sich Redakteure in den Häusern für sie stark gemacht haben, bei anderen scheint jeglicher Widerstand aus den Redaktionen an gewissen Hauptabteilungleitern abgeprallt zu sein. Für gestrichene Kündigungskandidaten sind wohl wieder andere auf die Liste gekommen, so dass der Eindruck entsteht, als habe man unbedingt einen bestimmten Prozentsatz von Kündigungen erreichen wollen.
Insgesamt war eine Verunsicherung der Freien im Hause sicherlich erwünscht, auch dass so mancher sich jetzt überlegen mag, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, einmal auf seinen Urlaub zu verzichten.
Allerdings sollte man sich das in der Tat sehr gut überlegen, denn für die Hoffnung hierdurch einer evtl. Kündigung in drei, vier Jahren zu entgehen, handelt man sich den sofortigen Verlust all seiner Rechte ein, und damit die Bedrohung, schon nach einen Jahr ohne Kündigung nicht mehr beschäftigt zu werden, weil vielleicht gerade die nächste Teilprogrammreform ins Haus steht oder bestimmten (Haupt-) Abteilungsleitern die Nase nicht (mehr) passt.
Und auch wenn dies nicht geschieht, könnten die Juristen des Hauses auf die Idee kommen, dass ein Verzicht auf den Urlaub, obwohl die Voraussetzungen dafür bestanden, nach dieser Vorgeschichte und der damit verbundenen quasi-Nötigung vor Gericht nicht als Unterbrechung angesehen werden könnte, und man deshalb sicherheitshalber doch lieber kündigen müsse ....
Verzicht auf Urlaub aus Angst vor Kündigung ist deshalb sicherlich kein guter Rat. Gleichwohl wird und muss sich das Verhältnis der Freien zum dradio ändern, spätestens wenn die Geschäftsleitung zur nächsten Kündigungslotterie ruft. Wie und in welche Richtung dies geschehen soll und kann, sollten wir in dieser Liste diskutieren.
Klaumi (Klaus-Michael Klingsporn)
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